„Wir träumen jetzt Politik“

Anti Mugabe Demonstration @ STR/AFP/Getty Images
Nach dem Rücktritt von Afrikas dienstältestem Diktator schöpft Simbabwes Jugend Hoffnung. Doch was, wenn die alten Eliten einfach weiter machen wie bisher?

In diesen Stunden fliegt eine Stadt. Sie berauscht sich, ist trunken vor Freude. Die Bettler vergessen zu betteln, der Tankmann lässt den Zapfhahn liegen, ein Soldat steigt vom Panzer herunter, um zu flirten. Die Broker rennen auf die Straßen hinaus, und die Pfarrer, Büroangestellten, Hausfrauen tun es ihnen nach. Ein Vater zieht seine beiden kleinen Söhne hinter sich her, er will vor den Panzern Fotos mit ihnen machen, „damit sie sich das eines Tages ins Fotoalbum kleben und sagen können: Wir waren in diesem historischen Moment dabei.“

Wildfremde Menschen umarmen sich auf den Straßen, nehmen sich an den Händen und tanzen. Keine Droge der Welt hätte bewirken können, was diese Nachricht ausgelöst hat, die sich um kurz vor 18 Uhr an diesem Dienstag kometenschnell in Harare verbreitet, der Hauptstadt Simbabwes im Süden Afrikas. Sie schreien es sich zu, von Auto zu Auto, von Haus zu Haus. „Wir sind frei!“

Robert Mugabe, der 93-jährige Diktator, der das Land 37 Jahre lang beherrschte, ist soeben zurückgetreten. Jahrelang haben sie geschwiegen, allemal geflüstert, jetzt wollen sie rufen, singen und feiern. „Nie haben wir uns getraut, über Politik zu reden“, ruft eine Studentin. „Jetzt essen, trinken, schlafen und träumen wir Politik!“

Als vor einer Woche Panzer in Harare aufgefahren waren, hatte das die Menschen in der ganzen Hauptstadt elektrisiert. Aber es gab auch Vorsichtige wie Prince Nzou.

Dessen Arbeit bestand bisher darin, den Diktator gut aussehen zu lasen. Prince Nzou war gerade dabei, ein Parteiposter zu entwerfen, ein Bild, auf dem der 93-Jährige sehr viel vitaler aussehen würde als in Wirklichkeit: Mugabe zwischen Maiskolben und jubelnden Anhängern, die einen Wohlstand und eine Begeisterung symbolisieren sollen, die es in diesem Land schon lange nicht mehr gibt.

Prince Nzou wurde 1982 geboren, zwei Jahre nachdem der Diktator die Macht ergriff. Seit er vor drei Jahren als Chefdesigner der Regierungspartei Zanu PF zu arbeiten begann, hat er Mugabes Konterfei auf Abertausende T-Shirts, Aufkleber, Plakate und Poster drucken lassen. Das Poster, an dem er gerade arbeitete, als der mächtigste Mann des Landes im Hausarrest landete, sollte für den außerordentlichen Parteitag im Dezember werben. Mugabes Frau Grace sollte dort nach langem parteiinternen Machtkampf zur Vizepräsidentin und Nachfolgerin ihres Mannes gekürt werden.

Als die Menschen in den Nachbarhäusern zu jubeln begannen, beschlich Prince Nzou die Angst. Wenn Mugabe stürzen sollte, was würde das dann für ihn bedeuten?

Prince Nzou will seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. Er hat sich vom einfachen Parteimitglied zu einem – so nennt er es – „Jemand“ hochgearbeitet, der jetzt Angst haben muss, „gewisse Privilegien zu verlieren“. Er hat in seiner politischen Karriere genug Machtkämpfe und Säuberungen erlebt, um zu verstehen, dass man in Simbabwe besser nicht alles auf eine Karte setzt. „Zeig niemals, dass du zu einer Person gehörst“, sagt er, „sondern immer nur zur Partei.“

Denn dies ist eine Organisation, die im Befreiungskampf geboren wurde, nach leninistischen Prinzipien ausgerichtet ist und deren Mitglieder sich nach 37 Jahren daran gewöhnt haben, dass alle Macht von ihnen ausgeht. Es gibt gestählte und ehrgeizige Kämpfer in dieser Partei, Männer, die Guerillakampf, Gefängnis und Folter erlebt haben. Und es gibt viele, „die darauf trainiert sind, sich nach dem Wind zu biegen“, sagt Nzou.

Seit Langem tobte der Machtkampf um die Nachfolge Robert Mugabes. Des Mannes, der Rhodesien, wie das Land früher hieß, von der Herrschaft der Briten befreite. Lange wurde er als einer der progressivsten Führer Afrikas gefeiert, bis er Simbabwe, einst die Kornkammer Afrikas, schließlich völlig herunterwirtschaftete. Angesichts von Hyperinflation und Massenarbeitslosigkeit hätte seine Zeit längst vorbei sein müssen – und doch schaffte es Mugabe, sich an die Macht zu klammern, indem er die Opposition gewaltsam unterdrückte, Wahlen fälschen ließ und seine parteiinternen Gegner gegeneinander ausspielte.

Sein Weggefährte Emmerson Mnangagwa, 75, hatte sich lange schon Hoffnungen auf die Nachfolge gemacht. Er war aus demselben Holz: Mit 16 hatte er sich dem Befreiungskampf angeschlossen, Gefängnis und Folter überstanden, Mugabe als Bodyguard und Assistent gedient. Später bekleidete er zahlreiche Regierungsposten, dabei soll er auch für die Ermordung Tausender Oppositioneller mitverantwortlich gewesen sein. Er erhielt eine militärische Ausbildung in China und Ägypten, organisierte die Geschäftsaktivitäten seiner Partei. Parteifreunde beschreiben ihn als grausam. Sein Spitzname ist Krokodil, weil es das Totemtier seines Stammes ist, aber auch weil er genau weiß, wann er zuschlagen muss. Seine Verbündeten sind die Kriegsveteranen und das Militär.

Diese verfolgten mit Abscheu, wie Mugabes Frau Grace, 52 – aufgrund ihrer ausgiebigen Shopping-Orgien auch „Gucci-Grace“ genannt – Mnangagwa seinen Posten streitig machen wollte. Unterstützt wurde sie dabei von einer Gruppe jüngerer Funktionäre, den sogenannten G 40, und der Polizei. Als Robert Mugabe am 6. November Mnangagwa als Vizepräsidenten feuerte, um ihn durch seine Frau zu ersetzen, beschlossen das Krokodil und seine Verbündeten – Team Lacoste genannt – zurückzuschlagen.

Es war von Anfang an das Eigentümliche dieses Putsches, dass er nicht wie einer aussehen soll. Das Team Lacoste wollte die internationale Gemeinschaft nicht vergraulen. Der Sprecher der Kriegsveteranen sprach von einer „exquisiten Militärintervention“. Ganz offensichtlich war sie von langer Hand vorbereitet. Simbabwischen Geheimdienstquellen zufolge hat das Krokodil bereits seit einem Jahr mit der Idee geliebäugelt. Als der Militärchef des Landes Anfang November auf Besuch bei der Schutzmacht China weilte, soll er dort erfahren haben, dass Mugabe ihn nach seiner Rückkehr festnehmen lassen wollte. Er beschloss, ihm zuvorzukommen. Der Pekingbesuch gab Anlass zu Spekulationen: Hatte sich der Militärchef dort etwa das Plazet der chinesischen Regierung eingeholt?

Weil die Putschisten nicht als solche erscheinen wollten, drängten sie Mugabe zum Rücktritt. Der aber weigerte sich beinahe eine Woche lang, ihnen diesen Gefallen zu tun.

Am Sonntag vergangener Woche drückte sich Prince Nzou durch die Menschenmenge, die sich zum Sonderparteitag eingefunden hat. Es ist eine Veranstaltung, die an eine Sitzung der KP Chinas erinnert, ein Funktionär sagt, dass es im Grunde gar nicht so wichtig sei, was das Parlament bestimme. „Die wahren Entscheidungen werden hier getroffen.“ Immerhin aber gibt es hier mehr simbabwische Lebensfreude. Die Delegierten singen und tanzen, als die Entscheidungen verkündet werden: Grace Mugabe und ihre Verbündeten werden von der Partei ausgeschlossen, Mugabe als Parteichef abgesetzt, Mnangagwa wird zu seinem vorläufigen Nachfolger erklärt. Die Partei stellt Mugabe vor ein Ultimatum, das Mnanagagwa, der noch immer im Ausland weilt, in den Tagen danach schriftlich bekräftigen wird: entweder er trete zurück. Oder aber es drohe ihm die Schande eines Amtsenthebungsverfahrens.

„Die selben Leute, die noch vor ein paar Tagen gegen Mnangagwa und für Grace gestimmt haben, tanzen jetzt für ihn und gegen sie“, sagt Nzou leise. Er betrachtet die mit einem Lacoste-Krokodil bedruckten T Shirts und Kappen, die die jubelnden Anhänger des Teams Lacoste tragen. „Das haben sie selbst gemacht. Und ohne den Auftrag der Partei. Das entspricht nicht den Designvorschriften“, murmelt Nzou schlecht gelaunt. „Dieser Individualismus ist spaltend.“ Was er nicht sagt, ist, dass der unbekannte Designer, der dies entwarf, vielleicht bald seinen Job machen könnte. Was wird nun aus einem wie ihm?

In all den Jahren, sagt Nzou, sei Mugabe so etwas wie eine Vaterfigur für ihn geworden, auch wenn er ihn nie persönlich kennengelernt habe. „Wenn du so lange damit zugebracht hast, einen Mann aufzubauen, dann wirst du ihn nicht einfach los.“ Egal, ob ein Mensch gut oder schlecht gewesen sei, sagt Nzou, „irgendwann gibt es einen Moment, da vermisst du ihn einfach“.

In den folgenden Tagen des Putsches schläft Prince Nzou fast nicht. An Arbeit ist ohnehin nicht zu denken. Er weiß ja nicht mal, welcher Kopf nun auf dem Poster prangen soll, das zum besonderen Parteitag im Dezember lädt. Der von Emmerson Mnangagwa? Auf die Straße geht er auch lieber nicht mehr, weil dort die Menschen jubeln, dass der Alte endlich vertrieben wurde. Dieselben Soldaten, die nun von den Passanten als Helden begrüßt werden, galten gestern noch als Steigbügelhalter des verhassten Regimes. Das Militär lässt sich die Sympathiebekundungen gern gefallen, verleiht es ihm doch Legitimität. Man hat ja nur auf Wunsch des Volkes gehandelt!

Keiner weiß gegenwärtig, wohin die Reise gehen wird, doch endlich scheint vieles möglich zu sein. An allen Ecken der Hauptstadt Harare demonstrieren plötzlich Menschen. Studenten. Christen. Angehörige der Zivilgesellschaft. Sie hoffen, dass Mnangagwa nur ein Mann des Übergangs ist. Sie setzen auf die Wahlen im nächsten Jahr. Sie hoffen, dass sie frei und fair sein werden. „Und dann“, ruft eine Studentin, „werden wir die Zanu PF endlich abwählen. Dann wird eine neue Zeit beginnen!“

Die Skeptischeren erinnern daran, dass auch das Krokodil ein Mann der alten Ordnung ist. Einer, der alles gewagt hat, um Mugabe zu beerben – und der nun viel zu verlieren hat. So ist die Lage an diesem Dienstagabend in Harare: Hinter dem ersten entschiedenen Machtkampf – Mugabe gegen Mnangagwa – lauert bereits ein zweiter.

Es ist der zwischen einer autoritären Partei und all jenen im Land, die wirkliche Freiheit wünschen.

23. November 2017 in Die Zeit