Nordkoreas Diktator verkauft Zwangsarbeiter in die ganze Welt, damit sie ihm Devisen beschaffen – sogar nach Polen, mitten in die EU
Das polnische Dorf Piotrowice ist ein Idyll aus Einfamilienhäusern und Blumengärten, so verschlafen, dass man am liebsten an eine der Türen klopfen möchte, um drinnen ein Nickerchen zu machen. Wäre da nicht das Geheimnis, das dem Rentner Adam Walewski keine Ruhe lässt. Für gewöhnlich weiß Adam genau, was sich in seinem 600-Seelen Dorf, etwa 30 Kilometer südlich von Warschau, abspielt. Nur was es mit den rätselhaften Asiaten auf sich hat, die auf den Feldern des Tomatenzüchters Tomasz Kociszewski arbeiten, hat er nicht herausfinden können. Adam, der seinen echten Namen aus Vorsicht nicht in der Zeitung lesen mag, ist mit seiner Neugierde nicht allein, viele im Dorf rätseln, was sich hinter den hohen Mauern der Tomatenfarm abspielt. Sprechen sie darüber, fällt oft der Satz: »Es ist wie im Arbeitslager.«
Nun könnte man Adam und die anderen Dorfbewohner als übereifrige Bürger abtun, die nichts Besseres zu tun haben, als sich in die Angelegenheiten eines Nachbarn einzumischen. Gäbe es da nicht diesen schrecklichen Verdacht: dass es sich bei den Arbeitern auf Kociszewskis Farm um nordkoreanische Zwangsarbeiter handelt.
Dass Nordkorea seine Bürger zur Zwangsarbeit ins Ausland schickt, ist bekannt. Immer wieder wurde das Thema angesprochen, von den Vereinten Nationen, von Menschenrechtsgruppen und von geflohenen Nordkoreanern, die selbst zur Arbeit gezwungen wurden. Nordkoreanische Arbeiter fällen Bäume in Sibirien und China, bauen Häuser und Straßen in Kuwait und Oman, schuften in Libyen und Angola.
Doch in Polen? Einem Land mitten in der EU?
Adam ist ein Mann von etwa 65 Jahren, er trägt einen braunen, ausgewaschenen Pullunder und fährt mit einem Fahrrad durchs Dorf, das so rostig ist, dass es wahrscheinlich sicherer wäre zu laufen. Adam ist in Rente, Adam hat Zeit. Und so hat er seine Nachforschungen beim Tomatenzüchter Kociszewski, der Adams Nachbar ist und den er einen »guten Bekannten« nennt, mit Bedacht angestellt, um »ihm ein bisschen nachzuspionieren«.
Adam kann sich nicht mehr genau erinnern, wann er die geheimnisvollen Arbeiter zum ersten Mal auf Kociszewskis Tomatenfeld sah. Das Feld liegt ein wenig außerhalb, jenseits von Kociszewskis Gewächshäusern, die von hohen Mauern umgeben sind. Es ist mit Stacheldraht umzäunt, davor steht ein einsames Dixi-Klo. Die Asiaten, sagt Adam, liefen in Zweier- oder Dreierreihen über Kociszewskis Feld, manchmal kämen sie auch in größeren Gruppen, um Tomaten zu pflücken. »Sie sind sehr jung, und die meisten sind Frauen«, sagt Adam.
»Keiner weiß, woher die Arbeiter kommen«, sagt ein Nachbar der Tomatenfarm
Adam hat versucht, sie von seinem Feld aus zu zählen, »doch sie bewegen sich zu schnell, es ist unmöglich, den Überblick zu behalten«. Vielleicht sind es 50, vielleicht auch 60. Woher kommen sie, warum arbeiten sie hier in Piotrowice, und wie viel verdienen sie? Das alles habe er, sagt Adam, den Tomatenzüchter Kociszewski wieder und wieder gefragt. »Ich will darüber nicht reden«, habe der jedes Mal geantwortet. Also hat Adam die jungen Männer befragt, die Kociszewskis Klärgrube
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säubern. »Ist alles streng geheim«, haben die geantwortet. »Reden wir, verlieren wir unseren Job.«
Immer, sagt Adam, seien die jungen Asiaten zu Fuß unterwegs, »und sie bewegen sich nie allein«. Im Dorf sähe man sie kaum und niemals in Restaurants, »jeden Tag bringt ihnen ein Lieferdienst Essen«.
Was Adam erzählt, bestätigen weitere Nachbarn des Tomatenbauern Kociszewski. Zum Beispiel die Dame mit Kittelschürze, die im Tante-Emma-Laden des Dorfes arbeitet. Zweimal sei eine Gruppe junger Frauen in ihren Laden gekommen. »Sie konnten kein Polnisch, deuteten nur mit den Fingern«, berichtet sie. »Sie haben große Mengen an Eis gekauft. In diesem Sommer war es sehr heiß, mehr als 30 Grad, das heißt, dass es in den Gewächshäusern sogar mehr als 60 Grad waren. Sie haben trotzdem gearbeitet. Samstags schufteten sie, manchmal auch sonntags.« Auch diese Nachbarin verwendet den Begriff »Arbeitslager«, und das ist ein Wort, das wenige Polen einfach nur so dahersagen würden. »Keiner weiß, woher die Arbeiter kommen«, sagt ein anderer Nachbar.
Laut dem indonesischen Anwalt Marzuki Darusman, der als Sonderberichterstatter des UN- Menschenrechtsrates damit beauftragt ist, Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea zu untersuchen, arbeiten derzeit mehr als 50 000 Nordkoreaner, von ihrer Regierung verschickt, in aller Welt, vor allem auf Baustellen und im Bergbau, in der Holzwirtschaft und in der Textilindustrie. Der Großteil ihres Gehalts werde von der nordkoreanischen Regierung einbehalten, die dringend Devisen benötige, da ihre »finanzielle und wirtschaftliche Situation« aufgrund internationaler Sanktionen »sehr schwierig« sei, sagt der UN-Experte.
Im Oktober vergangenen Jahres veröffentlichte sein Team einen Report, demzufolge das Regime durch die Ausbeutung seiner Bürger 1,2 bis 2,3 Milliarden US-Dollar im Jahr verdiene. Die Arbeiter würden ihre Arbeitsverträge nicht kennen, müssten manchmal bis zu 20 Stunden am Tag arbeiten und befänden sich unter ständiger Aufsicht nordkoreanischer Sicherheitsleute, die ihnen mit drakonischen Strafen drohten, sollten sie es wagen, über ihre Arbeitsverhältnisse zu klagen. Angestellt würden die Zwangsarbeiter von Firmen im Gastland, welche, so Darusman, »damit zu Komplizen der Zwangsarbeit werden«. Die meisten Nordkoreaner sind UN-Erkenntnissen zufolge in China und Russland tätig, es gibt sie aber auch in mindestens 15 anderen Ländern in Afrika, im Mittleren Osten und in Südasien. Und eben in Polen.
Der UN-Bericht bezieht sich auf die Recherchen des Asan-Instituts, eines Thinktanks im südkoreanischen Seoul. Laut Asan sandte Nordkorea erstmals im Jahr 1967 Arbeiter ins Ausland, in die damalige Sowjetunion, seitdem wurde das Programm stetig erweitert. Die Nordkoreaner würden im Ausland nicht nur ausgebeutet, sie müssten als »Maultiere« auch Devisen nach Nordkorea schaffen, da der Banktransfer durch internationale Sanktionen eingeschränkt ist. Über die Arbeiter in Polen gibt es kaum Erkenntnisse. »Soweit wir wissen, gibt es keine nordkoreanischen Zwangsarbeiter, die aus Polen geflohen sind, unser Wissen um ihre Arbeitsbedingungen ist also eingeschränkt«, sagt Go Myong-Hun vom Asan-Institut. Sicher sei nur eines: »Alle Nordkoreaner, die im Ausland arbeiten, werden von ihrem Regime ausgebeutet.«
Das Regime in Nordkorea behält bis zu 90 Prozent des Lohnes ein
Asan-Leute haben die Anatomie dieses Systems erforscht und Muster gefunden, die für sie klar auf den Tatbestand der Ausbeutung hinweisen: Die Arbeiter unterschreiben demnach keine individuellen Verträge mit den ausländischen Firmen, ihre Arbeitskraft wird von einem nordkoreanischen Staatsunternehmen verwaltet, das sie ins Ausland schickt. Und das Gehalt wird nicht direkt an die Arbeiter überwiesen, sondern an ebendieses Unternehmen. Das Regime behält dann bis zu 90 Prozent des Geldes ein. Ein »Report über Menschenhandel« der US-Regierung von 2008 kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Und auch auf der US-Liste steht: Polen.
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Bereits im August 2013 hatte das Magazin Newsweek Polska über die Farm des Tomatenzüchters Kociszewski berichtet. Das Magazin hatte in Masowien, der größten Region Polens, nachgefragt, wer die Anträge stellt, die genehmigt werden müssen, damit ein Ausländer in Polen arbeiten darf. In dem Artikel steht, »dass die meisten Anträge von der Landwirtschaftsgruppe Kociszewski stammten sowie dem Pjöngjang-Büro für Gartenbau, einer koreanischen Gesellschaft, die bei der Vermittlung der Arbeiter an Tomasz Kociszewski behilflich ist«. Im Jahr 2006 deckte der Journalist Mikołaj Chrzan einen weiteren Fall auf: Es ging um nordkoreanische Schweißer in einer Danziger Werft.
Den polnischen Behörden ist bekannt, dass Nordkoreaner in Polen arbeiten, sie haben die Arbeitserlaubnisanträge genehmigt. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten hat Geschichte, einst waren sie sozialistische Bruderländer. Heute zeigt sich die polnische Regierung irritierend tatenlos. Zwar beschrieb ein Sprecher der Behörde, welche die Umstände untersuchte, unter denen die etwa zwanzig nordkoreanischen Schweißer in der Danziger Werft angestellt waren, später als »kriminell«. Doch der damalige Vize-Arbeitsminister Kazimierz Kuberski sagte im Jahr 2007: »Es ist kriminell. Aber wir sind hilflos.« Ein Sprecher des Außenministeriums versprach daraufhin, seine Behörde werde sich der Sache annehmen. Doch dann geschah: nichts. Die nordkoreanische Botschaft in Warschau zeigte ohnehin keine Reaktion.
Zeit, dem Tomatenzüchter Kociszewski einen Besuch abzustatten. Seine Farm ist eine gewaltige Anlage, groß wie eine Fabrik, die sich auf den Feldern hinter Piotrowice erhebt. Hinter einem 1,70 Meter hohen Zaun verbirgt sich ein mehrstöckiges Bürogebäude mit braun verglasten Fenstern. Das Tor ist verschlossen, es gibt weder Klingel noch Türschild. Nur die Werbung eines Anbieters für Sicherheitsdienste: Solid Security.
Floh ein Arbeiter, wurde seine ganze Familie bestraft – und ins Arbeitslager gebracht
Solid Security hat offenbar ganze Arbeit geleistet, auch bei den Gewächshäusern nebenan, die von einer mehr als zwei Meter hohen Betonmauer umgeben sind. Das Reifen von Tomaten erfordert hier offenbar vor allem eines: Geheimniskrämerei. Der Ort wirkt wie ausgestorben, kein Mensch ist zu sehen. Nach langem Warten kommt ein Lastwagen vor dem Tor zum Stehen, er sei hier, um Tomaten abzuholen, sagt der Fahrer, schnell schlüpfen wir mit ihm durch das Tor. Eine junge Frau tritt aus dem Bürogebäude. Sie sagt: »Es ist keiner da. Ich kann keinerlei Informationen herausgeben.« Die Chefs seien verreist. Und dann? »Auch nächste Woche sind sie nicht da.« Und die Woche darauf? »Da müssen sie Unterlagen sortieren und werden nicht ansprechbar sein.« Und dann? »Sind sie beschäftigt.« Könne man anrufen? »Wir geben keine Telefonnummern heraus.« Könne man schreiben? »Wir geben auch keine E-Mail-Adressen heraus.« Könne sie freundlicherweise einen Ansprechpartner nennen? »Das tun wir nicht. Der Chef möchte ganz sicher nicht von Ihnen in dieser Sache behelligt werden.« Sie wisse doch gar nicht, um welche Sache es gehe? »In keiner Sache. Auf Wiedersehen.«
Das Tor schließt sich.
Wenn man außen an der Mauer entlangläuft, kann man durch Schlitze gucken und die Gewächshäuser erkennen, Tomaten in allen Reifegraden, grün, gelb und rot. Einmal um das ganze gewaltige Areal herum, durch Feld und Morast, eine Schlange zischt vorbei. Nur an einer kleinen Stelle ist die Mauer durchbrochen, an einem Zaun dort hängt eine Arbeitsjacke.
Ein grüner Toyota fährt den Feldweg entlang, zwei Männer, Ostasiaten, sitzen darin. Sie sind modisch gekleidet, vielleicht die Sicherheitsleute? Wir winken, sie bleiben stehen, wir gehen auf sie zu, sie fahren schnell weiter.
Durch die Ritzen erkennt man ein einstöckiges gelbes Haus, Bänke und eine Hollywoodschaukel,
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davor eine Art Teich. Eigentlich wäre es hier ganz idyllisch, stünde da nicht diese hohe Mauer. Wäre da nicht ein weiteres hohes, fest verschlossenes Tor, ohne Klingel und Schild, das mit Sichtblenden verkleidet ist. Plötzlich steht dort, wo eben noch die Arbeitsjacke hing, ein Mädchen, das mit einem Gartenschlauch die Glasfenster des Gewächshauses abspritzt. Sie ist etwa 20 Jahre alt, das Haar hat sie unter einer Kappe zum Pferdeschwanz gebunden, sie trägt Gummistiefel, Jeans und ein T-Shirt mit der Comicfigur Tweety darauf. Darüber steht: »Happy Girl, Sweet Girl«. Das Mädchen hört uns nicht kommen. Als sie unseren koreanischen Gruß vernimmt, zuckt sie zusammen. Dreht sich um. Zu mehr reicht unser Koreanisch leider nicht, wir versuchen es auf Chinesisch, Japanisch, Englisch, Polnisch. Sie schweigt. Als sie die Kamera sieht, ergreift sie den Wasserschlauch und spritzt uns nass.
Wer ist dieses Mädchen? Wie ergeht es ihr auf der Tomatenfarm?
Wir werden es nicht herausfinden. Immerhin aber können wir mit einstigen nordkoreanischen Zwangsarbeitern sprechen, die von anderen Orten geflohen sind – und deshalb frei über ihre Erfahrungen berichten können. Einer von ihnen ist Il Lim, 47, der Zwangsarbeiter in Kuwait war. Gemeinsam mit einem Landsmann ist er nach Berlin gereist, er heißt Myeong Chul Ahn und war Wärter in einem Arbeitslager in Nordkorea. Beide leben mittlerweile in Südkorea und setzen sich mithilfe der Nichtregierungsorganisation NK Watch für Menschenrechte in Nordkorea ein. Il Lim wirkt heute in seinem eleganten Anzug und der modischen Brille wie ein südkoreanischer Geschäftsmann, doch es gab eine Zeit, da sah er völlig anders aus.
Im Jahr 1995 ging Il Lim nach Kuwait, um dort auf dem Bau zu arbeiten. Man zwang ihn nicht dazu, er wollte unbedingt – so wie viele andere, die sich um einen Job im Ausland bewarben. »Man hatte mir Hoffnung gemacht, 120 Dollar im Monat zu verdienen« – für nordkoreanische Verhältnisse ein Vermögen. Das Auswahlverfahren sei hart gewesen, erinnert sich Il Lim: »Die Behörden nehmen nur einen von hundert. Es dürfen nur Leute ausreisen, die absolut parteitreu sind. Fünf Jahre lang darf man kein einziges Parteitreffen verpasst haben. Natürlich darf man nicht straffällig geworden sein, Männer müssen verheiratet sein, selbst die Stabilität der Ehe wird überprüft.« Als Il Lim in Kuwait ankam, seien dort, berichtet er, etwa 2000 Nordkoreaner tätig gewesen. Fünf Monate lang habe er 13 Stunden am Tag gearbeitet. »Ich habe nur sehr wenig dafür bekommen, viel weniger, als mir versprochen wurde.« Der Arbeitgeber habe das Geld an eine Schweizer Bank überwiesen, von dort sei es direkt an die nordkoreanische Regierung gegangen. »Verwaltet hat die Finanzströme der nordkoreanische Vorarbeiter.«
Il Lim hatte gehofft, seine Familie daheim ernähren zu können, es war die Zeit der Hungersnöte, und den Menschen fehlte es an allem. Doch daran war nicht zu denken. »Unser Vorarbeiter sagte, wir sollten froh sein, so viel zu essen zu haben. Wir bekamen in Kuwait drei Mahlzeiten am Tag«, sagt Il Lim. Der Kontakt zu Arbeitern anderer Nationen sei strikt untersagt worden. »Alles war mit Stacheldraht abgezäunt. Uns wurde erzählt, das sei für unsere eigene Sicherheit, Kuwait sei ein gefährliches Land. Natürlich haben wir es geglaubt.« Il Lim beschloss dennoch zu fliehen. »Ich wusste nicht, wohin, wusste nicht mal, dass es so was wie eine südkoreanische Flagge überhaupt gibt und wie sie aussieht. Aber die Umstände waren so schlimm, ich wollte einfach raus und nie wieder nach Nordkorea zurückkehren.«
Il Lim schaffte es in die südkoreanische Botschaft, er war der erste nordkoreanische Zwangsarbeiter in Kuwait, dem das gelang. Noch immer ist er in großer Sorge um seine Eltern und seine Frau. Früher wurde, wann immer ein Arbeiter floh, gleich die ganze Familie bestraft und ins Arbeitslager gebracht. »Ich habe keine Möglichkeit herauszufinden, was mit meiner Familie geschah.«
Seit der Machtübernahme von Kim Jong Un vor gut vier Jahren habe sich die Zahl der Zwangsarbeiter verdoppelt, sagt Myeong Chul Ahn. »Es ist ein Weg, die Sanktionen zu umgehen.« 90 Prozent der Einkünfte gehen laut Recherchen der Organisation NK Watch direkt an Kim Jong Un. »Er finanziert
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damit seinen luxuriösen Lebensstil, er lebt viel ausschweifender als sein Vater.«
Über die Verhältnisse in Polen sind die beiden Männer nicht informiert, sie vermuten jedoch, dass es dort ähnlich ablaufe. Das Programm werde schließlich von einer zentralen Behörde in Pjöngjang koordiniert. »Dort arbeiten sehr gut ausgebildete Wirtschaftsexperten«, sagt Il Lim. »Darüber hinaus gibt es die Attachés in den einzelnen Ländern, die bestens über deren wirtschaftliche Situation und Arbeitskräftebedarf informiert sind.« Nordkoreanische Arbeiter, glaubt Il Lim, seien für Arbeitgeber im Ausland sehr attraktiv. »Wir sind die billigsten und fleißigsten Arbeitskräfte und sehr gehorsam. Wir kennen es ja nicht anders.«
Wir versuchen, einen Termin bei der nordkoreanischen Botschaft in Warschau zu bekommen, um sie mit den Vorwürfen zu konfrontieren. Doch Mail-Anfragen bleiben unbeantwortet, keiner geht ans Telefon. Als wir schließlich vor dem Botschaftsgebäude in Warschau stehen, schaffen wir es gerade mal, in die Rezeption vorzudringen. Die braunen Sessel sind mit weißen Spitzendeckchen dekoriert, eine junge Mitarbeiterin schaut in ihrem Rezeptionshäuschen einen nordkoreanischen Propagandafilm. Auf einem alten braunen Telefon wählt sie die Nummer des Botschaftssekretärs, der verspricht, sich zu melden, und nie wieder von sich hören lässt.
Ein polnischer Diplomat, der anonym bleiben will, zeigt sich von unserem Empfang in der nordkoreanischen Botschaft nicht erstaunt. Kürzlich, erzählt er, habe die Botschaft anlässlich des nordkoreanischen Nationalfeiertags eingeladen. »Da waren gerade mal eine Handvoll Menschen.« Der frühere Botschafter in Polen war ein Halbbruder Kim Jong Ils, der 26 Jahre lang auf seinem Posten diente. »Wir haben ihn nicht einmal gesehen«, sagt der Diplomat. Nie träte die nordkoreanische Botschaft mit einem Anliegen an polnische Behörden oder Ministerien heran. »Was die hier wollen, ist uns ein Rätsel.«
Wie kann es sein, dass mitten in einem europäischen Land Nordkoreaner arbeiten, bei denen der Verdacht besteht, dass sie Zwangsarbeiter sind. Warum stellen ihnen Behörden Arbeitsvisa aus? Was sagt die Arbeitsinspektion? Wie reagiert die Politik?
Die Abteilung »Ausländerangelegenheiten« des Präfekturbüros der Region Masowien, zu der auch Warschau und das Dorf Piotrowice gehören, erteilt 50 bis 60 Prozent der ausländischen Arbeiter in Polen ihre Arbeitserlaubnis. Auch die Anträge der Firma Kociszewski sind über die Schreibtische dieser Abteilung gegangen. Den größten Teil der ausländischen Arbeiter stellten mit 70 Prozent die Ukrainer, sagt die stellvertretende Direktorin Jaqueline Sánchez-Pyrcz. »Die Nordkoreaner machen gerade mal ein Prozent der Arbeitserlaubnisse aus, die wir hier rausgeben.« Nur 202 Anträge waren es in ihrer Region im Jahr 2015. Das Jahr zuvor 194. In ganz Polen wurden laut polnischen Regierungsstatistiken im vorvergangenen Jahr 377 Anträge gestellt. Ablehnungen gab es kaum. Eine Statistik darüber, welche Firmen Nordkoreaner beschäftigen, führe man nicht, teilt man uns auf Anfrage in mehreren Ministerien mit. Meist gehe es um sehr einfache Tätigkeiten in der Land- und Bauwirtschaft, sagt Sánchez-Pyrcz. Um sie zu genehmigen, brauche ihre Behörde wenige Informationen, es müsse lediglich nachgewiesen werden, dass kein Pole um eine solche Stelle konkurriere. Wie genau die Kooperation mit den Firmen aussehe, wisse sie nicht, »wir kümmern uns nur um die Erlaubnis«.
An die Artikel der Gazeta Wyborcza und in Newsweek, sagt Sánchez-Pyrcz, könne sie sich dunkel erinnern. »Sie haben keine große Reaktion hervorgerufen. Es handelt sich ja nur um sehr wenige Arbeiter.« Man müsse, sagt Sánchez-Pyrcz, verstehen, wie eine Behörde arbeite. »Wir können erst dann etwas tun, wenn es eine Beschwerde oder eine Vorgabe eines Ministeriums gibt. Und beides gab es in diesem Fall nicht.«
Die Nationale Arbeitsinspektionsbehörde ist nur zu einer schriftlichen Stellungnahme bereit. Darin
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berichtet sie von 17 Kontrollen in 14 Firmen, die Nordkoreaner beschäftigen. Es gehe dabei um die vergangenen fünf Jahre. Sie habe dabei eine ganze Reihe von Verstößen ausgemacht: In einigen Fällen seien der Lohn oder das Überstundenentgelt vorenthalten worden, anderswo hätten Arbeiter keinen Urlaub nehmen können. Bisweilen habe man rechtswidrige Arbeitsumstände festgestellt. Zu einem persönlichen Gespräch oder zumindest einem Telefonat, um diese Punkte zu erhellen, ist die Behörde nicht bereit.
In Polen verschwindet das Thema in den Untiefen von Bürokratie und Politik
Dass es anders geht, zeigt Tschechien. Bis vor ein paar Jahren waren auch dort nordkoreanische Arbeiter tätig, Schneiderinnen zumeist, die in Textilfabriken nähten. Die Regierung in Prag hörte im März 2006 die Zeugenaussage eines gewissen Kim Tae San. Bis zu seiner Flucht nach Südkorea im Jahr 2002 war er ein nordkoreanischer Diplomat in Prag, er war dort mit der Vermittlung von Arbeitern betraut. »Fast ihr gesamtes Einkommen«, sagt Kim, »wurde direkt auf ein Konto eingezahlt, das von der nordkoreanischen Regierung kontrolliert wurde.« 55 Prozent des Gehalts seien als »freiwilliger« Beitrag für Nordkorea abgezogen worden, fast der gesamte Rest für Übernachtung und »freiwillige« Geburtstagsgeschenke für Nordkoreas Führer. Am Ende seien den Frauen gerade mal 20 bis 30 Dollar im Monat geblieben. Infolge der Anhörung beschloss die Regierung in Prag, keine Visa an Nordkoreaner mehr auszugeben.
In Polen dagegen verschwindet das Thema in den Untiefen von Bürokratie und Politik. Und die Zivilgesellschaft? Auf unsere Anfrage hin erklären sich die polnischen Gewerkschaften für nicht zuständig. Baubranche und Landwirtschaft sind ohnehin kaum gewerkschaftlich organisiert. Auch polnische Menschenrechtsgruppen ignorieren den Fall. Und die polnischen Filialen der Helsinki Foundation for Human Rights und von Amnesty International erklären, sich mit dem Thema nie beschäftigt zu haben. Nur eine kleine polnische Stiftung für Bauarbeiterrechte versuchte im Jahr 2014, die Aufmerksamkeit auf eine Baustelle in Breslau zu lenken, auf der Nordkoreaner tätig waren. Die aber waren über so viele verschiedene Subunternehmer beschäftigt worden, dass sich nicht zweifelsfrei sagen ließ, wer am Ende verantwortlich war. Die Stiftung konnte nicht viel ausrichten und gab auf.
Immerhin gibt es noch die EU, könnte man meinen. Im Januar 2015 stellt eine spanische sozialdemokratische Abgeordnete des europäischen Parlaments eine Anfrage an die Kommission: Ob die Kommission von Vereinbarungen zwischen einem EU-Staat und Nordkorea wisse, die die Entsendung von Arbeitskräften beträfen? Ob sie etwas unternehme, um die Situation nordkoreanischer Zwangsarbeiter zu verbessern?
Die Antwort der Kommission: Nordkoreanische Arbeiter seien in der EU tätig, nach den Gesetzen des jeweiligen Gastlandes. Zwangsarbeit sei in allen EU-Mitgliedsstaaten verboten.
Im September 2015 setzen sozialdemokratische Abgeordnete mit einer Anfrage nach: Ihren Informationen nach seien 800 Nordkoreaner in Polen tätig. Die Abgeordneten wollen wissen: Hat die Kommission irgendwelche Daten über Firmen, die diese Menschen beschäftigen?
Im Januar 2016 kommt die Antwort: Die Kommission habe keine solche Daten. Fertig, erledigt, ein weiteres Dokument, ein weiterer Vorgang in einer gewaltigen Bürokratie, abgeschlossen.
Und so kommt es, dass in Polen, mitten in Europa, bürokratisch korrekt, nordkoreanische Zwangsarbeiter schuften müssen. Wohl auch in der Tomatenfabrik von Piotrowice.
Gemeinschaftsproduktion mit BARBARA PETRULEWICZ
Mitarbeit: FRÉDÉRIC KRUMBEIN