„Pulp Fiction“ auf Chinesisch

Die Reise eines Cembalos nach China und wie es fast in falsche Hände geriet

Bisweilen entzündet sich der Irrsinn chinesischer Schattenspiele dort, wo man ihn am wenigsten erwartet. Zum Beispiel an einem Cembalo.

Ein deutscher Freund, der in Peking lebt, fuhr mit seinem besten chinesischen Freund nach Deutschland, um ein Cembalo zu kaufen. Sie packten es zwischen Kleider und Möbel in einen Umzugscontainer. Auf die Liste, auf der sämtliche Gegenstände vermerkt werden müssen, schrieben sie nur: „ein Tasteninstrument“.

Als der Container in Peking angekommen war, fuhr der Freund zur Zollbehörde, um es abzuholen. Doch nein, die Beamten wollten Dokumente. Und noch mehr Dokumente. Beglaubigungen. Schriftliche Darlegungen. Rechnungen. Wieder und wieder fuhr er hin, während das Cembalo von einem Lager zum nächsten wanderte. Immer gab es einen Grund, warum man es ihm jetzt gerade nicht aushändigen konnte.

Nach einem halben Jahr dämmerte ihm: Da ist was im Busch. Zeit, Herrn Wang einzuschalten. Herr Wang übernimmt in der Firma der beiden Freunde in etwa die Aufgaben, die Mr. Wolf im Film Pulp Fiction ausübt. Er ist derjenige, der auf den Plan tritt, wenn keiner mehr weiterweiß, der Mann für die Deals, die Schattenspiele, die Geschäfte hinter den Kulissen. Auf dem Zollamt spielte Herr Wang die Karte, die jeder erfahrene chinesische Verhandler als erste zieht: „Sagt mal, Jungs, was ist hier los? Wir wären ja nicht hier, wenn nicht mächtige Leute hinter uns stünden.“ Da kamen die Beamten in Fahrt. Sie telefonierten, endlich rückten sie heraus, in welchem Lager sich das Cembalo befinden sollte. Wang fuhr ihn. „Pass auf“, sagte er dort zum Zuständigen. „Wir können das jetzt kompliziert machen, dann springt für keinen von uns was raus. Oder du sagst mir, was Sache ist, und ich zeige mich erkenntlich.“ Der Zuständige sagte, dass das Instrument längst woanders sei. „Irgendwer hat das veranlasst und bekommt Geld dafür.“

Er nannte eine andere Zollstelle. Dort setzte sich der wundersame bürokratische Apparat erneut in Bewegung. Dokumente. Beglaubigungen. Rechnungen. Wang nahm mittlerweile Fährte auf. Er telefonierte über mehrere Wochen, lud Lagerarbeiter zum Essen ein, bis er schließlich einen Hinweis erhielt. Es gebe da diese drei Bosse. Liebhaber erlesener Instrumente. Jeder von ihnen habe seine Leute beim Zoll, die ihn informieren sollten, wann immer ein wertvolles Instrument nach China gelange. Sie wollten das Cembalo und warteten nur darauf, dass die Lagerzeit verstreiche, auf dass sie es sich unter den Nagel reißen könnten.

Tatsächlich erhielten die Besitzer bald ein Schreiben. Die Lagerfrist sei abgelaufen, der Container werde eingezogen oder versteigert. Wang hatte mittlerweile die drei Bosse geortet. Es waren: der ehemalige Chef des Staatsorchesters, die graue Eminenz der staatlichen Musikakademie und ein hohes Tier im Kulturministerium. Die drei konkurrierten um das Cembalo, jeder von ihnen versuchte, es in seinen Einflussbereich zu bugsieren. Deshalb hatte das Cembalo so oft das Lager gewechselt, stets unter Berücksichtigung bürokratischer Formen.

Herr Wang witterte seine Chance. Er gab sich als Handlanger eines vierten, noch viel mächtigeren Bosses aus. Er bestach Lagerarbeiter mit wenig Geld, damit sie sagten, sie seien mit viel größeren Summen gekauft worden. Im Auftrag eines mächtigen Herrn, des eigentlichen Besitzers, für den Herr Wang tätig sein wollte.

Showdown im Luxushotel

Nach ein paar Wochen erhielt er einen Anruf. Die drei Bosse luden zum Dinner in ein Luxushotel. Showdown. Herr Wang lief zur Hochform auf. „Mein Auftraggeber: ein richtig hohes Tier. Deutscher. Früheres Regierungsmitglied. Beste Kontakte nach China. Und, hey, in Deutschland ist es nicht anders als in China. Die Ehemaligen haben die Macht, die ziehen die Strippen im Hintergrund. Mit dem wollt ihr euch nicht anlegen. Der ist größer als ihr.“ Zuvor hatte Wang Vorarbeit geleistet, wusste er doch, dass die Bosse ihm allein nicht glauben würden. Er hatte die unterschiedlichsten Gestalten bestochen, auf dass sie seine Mär wiederholten. Die Bosse glauben machten: Der Vierte, er kann aus allen Richtungen schießen.

Das Cembalo, erzählte Wang weiterhin, habe so gut wie keinen materiellen Wert. Es sei uralt, ein Familienstück, sein Auftraggeber liebe es aus rein persönlichen Gründen.

Man vereinbarte einen gemeinsamen Besichtigungstermin im Lager. Im Lager ritzte Wang die Folien auf, zeigte den Bossen die Füße des Instruments: „Schaut her, uralter Scheiß! Was wollt ihr damit, ihr seid doch Kenner.“ Die Bosse knickten ein. Nach 14 Monaten erhielt der Besitzer sein Cembalo.

Veröffentlicht in Die Zeit 2014