Flexibler Herr Xu

Was man in Peking erleben kann, wenn man sein Handy im Taxi vergisst

Kürzlich ließ ich mein Handy im Taxi liegen. Ich rief es vom Handy des Freundes an, den ich gerade getroffen hatte. Mein Gerät war bereits ausgeschaltet. Immerhin hatte ich noch die Taxiquittung, auf der die Nummer des Taxiunternehmens notiert war. Über dieses erreichte ich den Fahrer, einen Herrn Xu.

Nein, sagte Herr Xu, er habe das Handy nicht gesehen. „Kurz nachdem du ausgestiegen bist, ist ein neuer Gast eingestiegen.“ – „Wo?“ Schweigen. „Wie weit ist er gefahren?“ – „100 Meter“, sagte Herr Xu. Das machte mich etwas stutzig, kein Mensch würde in Peking 100 Meter mit dem Taxi fahren.

Später rief ich ihn nochmal an. „Ich bin’s nicht“, sagte der Mann am Telefon. Er klang wie Herr Xu. „Wer sind Sie nicht?“ – „Na, der, den Sie erreichen wollen.“ – „Woher wissen Sie denn, wen ich erreichen will?“ – „Sie wollen doch sicher Herrn Xu erreichen?“ – „Stimmt.“ – „Der hat die Tagschicht, ich hab die Nachtschicht, das ist das Nachtschichthandy.“ – „Aber das Handy ist doch sicher sein ganz individuelles?“ – „Ja.“ – „Na, wo ist er denn dann?“ – „Er ist im Bad und duscht sich. Moment, ich hole ihn.“ Eine Minute später geht ein Mann ans Telefon, der genauso klingt wie der Mann eine Minute vorher. Er sagt, er sei Herr Xu, und nein, er habe das Handy nicht gesehen.

Ich gehe zur Polizei. Der Beamte nimmt fein säuberlich meine Aussage auf. Später schickt er mir eine Kopie des Personalausweises von Herrn Xu, ich weiß jetzt, dass er aus dem Pekinger Vorort Shunyi kommt.

Am nächsten Tag funktioniert die Application „iPhone suchen“ wieder. Der Zeiger landet mitten in Shunyi. Ich rufe die Polizei an. „Ich weiß jetzt, wo das Handy ist.“ – „Wir können den Fall nicht bearbeiten“, sagt der Beamte am Apparat. „Ihr zuständiger Beamter ist heute im Urlaub.“ – „Kann das kein anderer übernehmen?“ – „Nein, auf keinen Fall. Das kann nur er machen.“

Ich rufe das Taxiunternehmen an. „Wir können da nichts machen“, sagt man mir. „Gehen Sie zur Polizei.“ Ich seufze und schaue auf den Zeiger in der „iPhone suchen“-App. Stelle auf Satellitenansicht um. Ein weißes gesichtsloses Hochhaus. Mein Handy ist so nah und doch so fern. „Such dir ein paar starke Männer, die nach Mafia aussehen, und klingele an seiner Tür“, rät eine Freundin.

Am Abend meldet sich plötzlich Herr Xu. „Ich komme jetzt gleich bei dir vorbei und bringe dir dein Handy.“ Genau eine halbe Stunde später steht Herr Xu vor der Tür. Er lächelt schief, erzählt, dass ein Fahrgast ihm das Handy zurückgebracht hätte. Er will es mir zustecken, eingewickelt in fünf Hundert-Yuan-Scheine. „Behalt das Geld“, sage ich. Herr Xu druckst herum, das Taxiunternehmen habe ihm gesagt, ich hätte ihn bei der Polizei angezeigt, und ob man nicht eventuell, ähm, unter Umständen …Mach dir über die Polizei keine Gedanken“, sage ich. „Die sind anders, als du denkst.“ Herr Xu versucht, mir das Geld trotzdem in die Tasche zu stecken. Ich wehre ab.

Herr Xu hat das neue Betriebssystem draufgeladen, das ich unter allen Umständen vermeiden wollte. In meinem Mailaccount sind jetzt lauter Leute, die ich nicht kenne. Es gibt eine „Gattin“, und es gibt eine kleine Mei, die Herr Xu oft angerufen hat. Herr Xu hat offensichtlich eine Mätresse.

Plötzlich ist Herr Xu wieder am Apparat. „Äh, ich hoffe, mit deinem Handy ist alles in Ordnung. Wenn du lieber ein iPhone 5 hättest, gib einfach Bescheid, ja?“