Die Vorzeigetochter

Die Kenianerin Mwamaka Sharifu ist in China ein Star. Sie soll vom chinesischen Seefahrer Zheng He abstammen. Mit dem Kult um beide Figuren will Peking sein Weltmachtstreben hübschen

ABENDS, WENN ES SPÄT WURDE in Peking und der Feuertopf genüsslich zündelnd unsere Rachen hinuntergeronnen war, wenn der Sichuanpfeffer auf unseren Zungen tanzte und wir uns euphorisch ermattet in unseren Stühlen zurücklehnten, erzählten meine Freunde gern eine Geschichte. Irgendwo in Ostafrika lebten Menschen, die ein wenig aussähen wie sie. Wie Chinesen. Mandelaugen zu dunkler Haut.

Urururururenkel einer gewaltigen chinesischen Flotte, die vor 600 Jahren bis nach Afrika gesegelt war – lange bevor Christoph Kolumbus geboren war. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs sollte die Welt keine größere Armada erleben als diese. 28 000 Seeleute, 300 Schiffe. Wo genau die rätselhaften Nachfahren leben sollten, wusste keiner meiner Freunde zu sagen. Vage wie eine Ahnung hing die Geschichte einen federleichten Moment lang über uns, trug uns über die Gassen der Pekinger Altstadt an ferne Küsten. Am nächsten Morgen war sie vergessen, bis sie ein paar Monate später erneut ausgegraben wurde.

Erst viele Jahre später, als ich längst in Afrika lebte, begriff ich, dass meine chinesischen Freude damit wohl die Berichte über Mwamaka Sharifu gemeint hatten. Eine Kenianerin mit Mandelaugen.

Ich hörte ihren Namen zum ersten Mal in einem Café in Nairobi, als ich mich zum ersten Mal mit der wunderbaren kenianischen Schriftstellerin Yvonne Adhiambo Owuor traf, mit der ich mich in Folge anfreunden sollte. Yvonne hat Mwamaka Sharifus Geschichte in ihrem Buch „Dragonfly Sea“ fiktionalisiert – ohne sie jemals getroffen zu haben. Mwamaka Sharifu, so erzählte sie mir, stamme aus einem Dorf auf der kenianischen Insel Pate und falle durch ihre asiatischen Gesichtszüge auf. Angeblich sei sie eine Nachfahrin eines Seemanns jener sagenumwobenen Flotte des chinesischen Seefahrers Zheng Hes. Irgendwann hätte die chinesische Botschaft sie entdeckt, nach China eingeladen und dort mit größtem Pomp propagandistisch ausgeschlachtet.

Ich bin elektrisiert.

Der ersten Artikel, den ich über Mwamaka Sharifu finde, stammt aus dem Jahr 2005. Ein Foto in der „China Daily“, einem Propagandaorgan der KP Chinas, zeigt eine junge Frau in einem chinesischen Kleid, sie trägt einen Hut mit einer riesigen rosa Plastikblume und lächelt, als habe sie einen Preis gewonnen. Im Text darunter heißt es: „Vor knapp 600 Jahren schwammen 20 chinesische Seeleute an den Strand einer Insel an der kenianischen Ostküste.“ Die Chinesen blieben, heirateten lokale Frauen und konvertierten zum Islam. So wolle es die lokale Legende. „Nun kommt ein 19-jähriges Mädchen, das Anspruch erhebt, eine Nachfahrin zu sein, nach China, um hier chinesische Medizin zu studieren, nachdem es ein Stipendium der chinesischen Regierung erhielt.“ Bereits 2002 seien chinesische Experten in ihr Dorf Siyu auf der Insel Pate gereist, um ihrer Mutter Haarproben zu entnehmen, die in China auf ihre DNA getestet wurden. Das Ergebnis: chinesische Abstammung. Fünf weitere der 7500 Inselbewohner wiesen ebenfalls chinesische Gene auf, schreibt die „China Daily“. In dem Artikel lobt die Protagonistin ihr neues Gastland in höchsten Tönen: „China ist so viel besser, als ich dachte. So schön und gut organisiert.“

Unzählige Male erscheint Mwamaka Sharifu in chinesischer Presse, Funk und Fernsehen. Die Stadt Taicang, wo die Seefahrer damals ihre Reise begannen, erklärt sie zur „Tochter der Stadt“, einige Beamte werden Jahre später ihrer Graduationszeremonie als „Eltern“ beiwohnen. Das Außenministerium feiert sie als „lebendes Beispiel für die lange Freundschaft zwischen China und Afrika“. Die Regierungswebsite lobt, „sie verbreitet positive Energie und trägt zur Entwicklung der Beziehungen zwischen China und Kenia bei“. Auf einer der zahlreichen Veranstaltungen sagt Sharifu, sie würde eines Tages gern einen Chinesen heiraten – ihr Urahn habe einst geschworen, das chinesische Blut zu bewahren.

Vielleicht ist es nur ein Zufall, dass Mwamaka Sharifu ausgerechnet im Jahr 2005 nach China kommt, dem Jahr, in dem China mit großem Pomp den 600. Jahrestag der Reise des Seefahrers Zheng He begeht. Auf allen Kanälen rauscht das Meer, feiert sich ein Land, das einen Moment lang als größte Seefahrernation gegolten hatte – bis es sich selbst in die maritime Bedeutungslosigkeit verdammte. Zheng He, ein muslimischer Eunuch der Ming-Zeit, soll von 1405 bis 1433 sieben Expeditionsreisen unternommen haben, die ihn bis nach Indien, Sumatra, Ceylon, Arabien und Ostafrika führten. Er sollte die Macht und Glorie seiner Kaiser mehren, Tribut von den „Barbaren jenseits des Meeres“ einholen. Doch er gründete keine Kolonien, jagte nicht nach Sklaven, brachte lediglich Leoparden und Giraffen heim ins Reich. „Anders als andere spätere europäische Kontrahenten, die über die großen Ozeane segelten, um andere Länder mit Gewalt zu erobern, brachte Chinas Flotte den fremden Ländern Tee, Porzellan, Seide und Handwerkskunst“, schreibt die China Daily. „Sie schenkte dem Rest der Welt Frieden und Zivilisation, ohne je ein anderes Land zu erobern – eine Leistung, die die ehrliche Absicht des alten Kaiserreichs symbolisiert, den Austausch mit anderen Ländern zu fördern.“ Indem es Zheng He feiert, ruft China der Welt eine Botschaft zu. Und es verbreitet sie in eben jenem Moment, in dem es sich aufschwingt, wieder Großmacht, Seemacht zu sein. In dem es vehement auf seine Ansprüche im Süd- und Ostchinesischen Meer pocht und mit den USA um die Vorherrschaft im Pazifik konkurriert. In dem viele seinen Machtzuwachs misstrauisch beäugen. Fürchtet euch nicht. Wir wollen Frieden. Unser Aufstieg ist euer Vorteil.

Lange war Zheng He vergessen, ein Held, nach dem niemand rief. Nach seiner letzten Reise ließ der Kaiser – auf Betreiben konfuzianischer Gelehrter, denen der Einfluss von Eunuchen wie Zheng He ein Dorn im Auge war – die Seefahrt verbieten. Finanziell gelohnt hatte sie sich ohnehin nicht, zudem sah sich das Reich zunehmend Angriffen der Mongolen aus dem Landesinneren ausgesetzt.

Die Konfuzianer ließen die Schiffe verbrennen und in den Docks verrotten, große Teile von Zheng Hes Aufzeichnungen wurden zerstört, 1525 war von der großen Flotte nichts mehr übrig. China wandte sich nach innen, isolierte sich. Bis es mit Beginn der Reformpolitik 1978 und seinem sagenhaften Aufstieg begann, die Welt zu umarmen. Und wer wäre ein besserer Botschafter als Zheng He?

Die Führung bemüht ihn, wenn sie weltweit ihre „Diplomatie des Lächelns“ verfolgt, wenn Präsident Xi Jinping zur großen Seidenstraßenkonferenz nach Peking lädt. Denn Zheng, so der Präsident, war „ein freundlicher Gesandter, der seinen Platz in der Geschichte nicht als Eroberer mit Kriegsschiffen, Gewehren und Schwertern verdiente, sondern auf schatzbeladenen Schiffen einhersegelte“. Und eben diesen Geist verfolge sein Land mit dem Seidenstraßenprojekt, der Belt and Road Initiative (BRI), dem größten Infrastrukturprojekt aller Zeiten, mit dem es Häfen, Eisenbahnstrecken, Pipelines, Kraftwerke, Straßen und Flughäfen in aller Welt baut.

Tatsächlich betreibt Peking damit nicht nur Geopolitik, sondern auch Geoökonomie, treibt eine Globalisierung nach seinen Vorstellungen voran. Denn mit den Eisenbahnstrecken kommen die Folgeaufträge, werden technische Standards gesetzt und Verbindungen geknüpft, steigt Pekings Macht und die Abhängigkeit seiner Partner. Die Partnerländer profitieren von dem Arrangement; sie können mit chinesischer Hilfe lang gehegte Infrastrukturprojekte realisieren. Gleichzeitig werden viele von ihnen ihre Kredite eines Tages nicht bedienen können. Wer wird in Folge davon profitieren? Werden Ressourcen oder politisches Wohlverhalten der Preis sein? Als Kenia und China im Jahr 2017 die chinesisch gebaute Eisenbahnstrecke von Nairobi nach Mombasa eröffneten, das größte Infrastrukturprojekt des Landes seit der Unabhängigkeit, taten sie das unter einer Zheng-He-Bronzestatue in Mombasa. Schon jetzt hält China mehr als 70 Prozent der bilateralen Auslandsschulden Kenias – und es kommen gewaltige Infrastrukturprojekte hinzu. Ostafrika ist einer der großen Schauplätze des Seidenstraßenprojekts. Tansania und Kenia konkurrieren um den Bau des größten Hafens Ostafrikas, Bauherren sind in beiden Fällen die Chinesen. Die ganze Region soll vernetzt werden, Eisenbahnlinien, Logistikzentren, Häfen, Infrastrukturkorridore. Im kenianischen Lamu wird derzeit mit chinesischer Hilfe ein Megahafen gebaut, dazu entsteht ein Kohlekraftwerk. Zudem bohren chinesische Firmen dort nach Öl und Gas. Die Projekte sind bei Kultur- und Naturschützern umstritten, sie werden unter großer Geheimhaltung vorangetrieben. Und in eben diesem neuralgischen Archipel, in dem sich zahlreiche politische und wirtschaftliche Interessen kreuzen, liegt die Insel Pate, von der die Kenianerin Mwamaka Sharifu stammt.

In den folgenden Monaten beginne ich zu recherchieren. Der DNA-Test, den chinesische Experten an ihrer Mutter durchführten, wurde in keiner der einschlägigen wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht. Westliche Experten zweifeln die Ergebnisse an. „Menschen an allen Küsten des Indischen Ozeans weisen Spuren von chinesischer, afrikanischer, indischer und australopolynesischer DNA auf“, sagt Martin Rundkvist, ein Archäologe an der britischen Universität von Chester. In den Städten und Inseln der Swahilikultur, die gleich einer Perlenkette die Küste Ostafrikas säumen, sieht man noch heute Menschen aller Hautschattierungen. Lokale Eliten verwoben sich mit Händlern aus Arabien, Jemen, Indien, Iran, die mit den Monsunwinden nach Ostafrika segelten. Es sei unmöglich, die DNA auf einen bestimmten chinesischen Seemann zurückzuverfolgen, sagt Rundkvist, es sei denn, man sei im Besitz von genetischem Vergleichsmaterial von eben jenem Seemann, der vor 600 Jahre lebte. „Es ist verdächtig zweckdienlich, dass China in genau jenem Moment angebliche Verbindungen findet, in dem es sich um Ressourcen in Afrika bemüht.“ Zweckdienlich, aber vielleicht nicht ausgeschlossen.

Chinesische Historiker berichten von Zheng Hes Abenteuern. Sie dokumentieren etwa seine Reise nach Malindi, einer historischen Swahilistadt an Kenias Ostküste, von der auch die Giraffen stammen, die in China für so viel Aufsehen sorgten. Einen Schiffbruch vor Pate aber erwähnen sie nicht. Auch in jenen schriftlichen Quellen, die die Geschichte Pates festhalten, der sogenannten Pate-Chronik oder den Aufzeichnungen lokaler Imame, findet sich nichts dazu. Doch große Teile der Geschichte Pates wurden mündlich weitergegeben – und schon seit Langem erzählte man sich hier die Legende der Chinesen. Archäologische Untersuchungen brachten keine Ergebnisse, die sie hätten erhärten können. Zwar wurden in Pate, so wie an vielen Orten Ostafrikas, chinesische Töpfe, Urnen, Münzen und Porzellan geborgen, diese müssen aber nicht unbedingt von chinesischen Schiffen stammen. Chinesisches Porzellan war ein beliebtes Handelsgut, das Händler unterschiedlichster Nationalität feilboten.

Noch immer liegen weite Teile der Geschichte im Dunklen, Tatsache aber ist: Als chinesische Diplomaten, Wissenschaftler und Geschäftsleute in Kenia von der Legende erfahren, treiben sie schon bald archäologische Forschungen voran. „Chinesen waren schon früh auf Pate“, sagt Chap Kusimba, ein kenianischer Anthropologe, der an der American University in Washington lehrt. „Bereits in den frühen 2000ern begannen sie mit den Testbohrungen für die Öl- und Gasförderungen.“ 2010 sandten die Chinesen Archäologen, die drei Jahre lang nach dem sagenumwobenen Schiffswrack tauchten. Es war das teuerste chinesische Archäologieprojekt außerhalb Chinas. Doch die Arbeit gestaltete sich schwierig, die Strömung dort ist stark, sie fanden Wracks, allerdings kein chinesisches.

Ich versuche die chinesische Botschaft in Kenia zu erreichen. Ein Jahr lang bemühe ich mich um ein Interview – erfolglos. Der Botschaftswebsite entnehme ich, dass im Jahr 2002 Diplomaten die Familie Sharifu zum ersten Mal besuchen. Mwamakas Eltern haben damals Probleme, ihr Schulgeld zu bezahlen, die Botschaft springt ein. Später habe Mwamaka der Botschaft geschrieben, ob sie nicht in China studieren könne, der damalige Botschafter Guo Chongli habe sich daraufhin beim Bildungsministerium für sie eingesetzt. Mit einem Stipendium des chinesischen Staates studiert Mwamaka in Nanjing und absolviert 2012 einen doppelten Master in traditioneller sowie integrierter westlicher und traditioneller Kindermedizin. Derzeit verfolgt sie in Wuhan ihr Doktorat als Gynäkologin.

Es dauert Monate, bis es mir gelingt, über viele Umwege Mwamaka Sharifus Nummer zu bekommen. Ich erhalte sie von einem in Kenia lebenden chinesischen Arzt. Viele weitere Monate schreibe ich mit Mwamaka Sharifu hin und her. Sie lebt noch immer in China. Wieder und wieder sagt sie ein Interview zu, nur, um mich dann erneut zu vertrösten.

Ich beschließe, nach Pate zu reisen. Nieselregen umfängt uns, als das Flugzeug in Lamu aufsetzt, Pates Nachbarinsel. Einst waren Lamu und Pate Rivalen, doch während Lamu heute Unesco-Weltkulturerbe ist, ein Touristenmagnet, Juwel der Swahiliarchitektur, ist Pate so gut wie vergessen.

Der Kapitän eines kleinen Motorbootes willigt ein, mich nach Pate zu bringen. Wir schippern die Promenade Lamus entlang, vorbei an prächtigen Herrenhäusern, den Frauen, die, geschmeidig die Hüften wiegend, über das Kopfsteinpflaster ziehen, biegen in einen mangrovenbewachsenen Meeresarm und erreichen schließlich das offene Meer. Die Wellen schlagen hart gegen den Bug unserer Bootes, lassen es bedrohlich auf und abtanzen. Ein Kahn voller chinesischer Arbeiter mit gelben Helmen kommt uns entgegen, sie winken uns gut gelaunt zu. Linker Hand liegt eine gewaltige Baustelle auf dem Festland, riesige Kräne ragen in den Himmel, hier wird der Megahafen von Lamu gebaut.

Und einen Moment lang sehe ich vor mir Containerschiffe aus aller Welt anlegen, Lotsenboote, die zwischen mächtigen Tankern navigieren, Hunderte Lichter wartender Schiffe nachts im Archipel. Doch dann erreicht unser Boot Pate, und die Zukunft löst sich auf wie eine Fata Morgana. In jener drückenden Mittagshitze, in der die Zeit seit Jahrzehnten stillzustehen scheint. Als sei dieser Ort vergessen worden, während die Welt nach vorn stürmte. Der Hafen, das ist ein schmaler Steg, darauf eine Handvoll Gestalten, die erstaunt darüber scheinen, dass sie überhaupt einmal jemand besucht, und fünf piki-pikis, Motorradtaxis. Eines trägt mich über dasso gut wie menschenleere Innere der Insel, vorbei an Salzsteppen und trockenen Palmen, Mangroven und einem einsamen Alten, der seine Esel vor sich hertreibt.

Wir erreichen Siyu, Mwamaka Sharifus Heimatort. Den Ortseingang markiert ein Affenbrotbaum, in dessen Rinde einer mit bunten Stecknadeln „Siyu“ gepinnt hat. Wir brettern durch ein schläfriges Dorf, die Hütten aus Lehm und Stroh, nur jene, die das Glück haben, Verwandte im Ausland zu kennen, haben sich ein Haus aus Beton geleistet. Aus offenen Fenstern dringen Bollywood-Klänge, einst war Siyu, das der Hohe Kommissar von Sansibar „die Perle Ostafrikas“ genannt haben soll, ein Zentrum indischer Handwerkskunst. Doch diese Zeiten sind lange vorbei, die Herrenhäuser sind verfallen, Schlingpflanzen kriechen in ihre Gemäuer, wer kann, ist längst weggezogen.

Siyus Stolz, das ist das mächtige Fort. Sein Wächter zeigt mir erst seine persönliche Bibel „The Seven Habits of Highly Succesful People“, das er mit Hand in ein Schulbuch eingetragen hat, um sich die enthaltenen Weisheiten besser zu merken. Und drückt mir dann das Besucherbuch von Siyu in die Hand. Darin sind eingetragen: der chinesische Staatssender CCTV, das Parteiorgan „China Daily“, der chinesische Botschafter. Wir nehmen jetzt den Weg, den auch die Chinesen nehmen. Und ich stelle mir vor, wie der Botschafter hier durch den Schlamm watet, bemüht, die Lederschuhe nicht zu beschmutzen, bemüht, sich an Rindern, Katzen und Hunden vorbeizudrücken, bemüht, elegant in jenes Gehöft zu treten, das aus Ziegeln gebaut und mit Stroh bedeckt ist: das Geburtshaus Mwamaka Sharifus. Im Hof sitzt deren Schwester Fathma Omar Khalifa, 40 Jahre alt, und sortiert Erbsen. In ihrem hellen, runden Gesicht steht ein breites Lächeln, sie sieht ein wenig indisch aus. Sie zeigt sich kein bisschen erstaunt darüber, dass Besucher aus fernen Ländern nach ihrer Schwester fragen, und holt einen Stapel Fotos hervor. Die Schwester mit dem ehemaligen Botschafter; die Schwester im Gespräch mit Journalisten; ein Kamerateam filmt die Familie; die Schwester vor der Skyline Shanghais in schwarzem Hijab und goldenen Glitzerschuhen – Stationen einer Karriere als wiederentdeckte Chinesin. „Die Großmutter“, sagt Khalifa, „sah sehr chinesisch aus: helle Haut und weiche Haare.“ Als Mwamaka in der Grundschule war, kamen die Chinesen. Journalisten, Wissenschaftler, irgendwann auch Diplomaten. Dass die Schwester nach China gehen durfte, sei eine große Chance, sagt Khalifa. „Manche im Dorf waren eifersüchtig. Andere freuten sich für uns. In den Augen der Nachbarn ist unsere Familie sehr erfolgreich.“ Khalifa lacht stolz und winkt fröhlich, als wir den Hof verlassen.

Im Dorf, erzählt mir ein Mann, wollten jetzt viele Chinesen werden. Chinese zu sein, das ist der Weg zum Erfolg. Doch leider, er zuckt mit den Achseln, könne das nicht jeder.

Zurück in Lamu, gehe ich ins Museum. Es ist das einzige in Kenia, das die Swahilikultur zeigt. Die Exponate sind fantastisch, umso trauriger ist der Zustand des Museums. Von den Wänden blättert die Farbe, die Scheiben sind verschmiert, Fledermäuse hängen von der Decke. Kenias Forschung braucht ganz offenkundig Geld. Und dieses Geld komme immer öfter aus China, sagt Mohamed Hassan Ali, der Museumsleiter. „Seit Langem versuchen sie, die Existenz der schiffbrüchigen Seeleute nachzuweisen.“ Vor drei Jahren etwa hätten chinesische und kenianische Archäologen gemeinsam im benachbarten Manda gegraben. „Es gab eine Konferenz, die Chinesen präsentierten die Ergebnisse ihrer Untersuchungen. Sie sagten, sie hätten DNA-Tests an Skeletten durchgeführt.“ Das Ergebnis: Ein Skelett sei chinesischer Abstammung. Der kenianische Anthropologe Chap Kusimba lacht, als ich ihn darauf anspreche. Er selbst leitete die Grabung im Jahr 2012, mit einem rein kenianischen Team, bei der die Skelette gefunden wurden. Und die erwähnte Ausgrabung im Jahr 2017 gemeinsam mit einem chinesischen Team, die allerdings nichts mit den Skeletten zu tun hatte. Die Gebeine wurden nie genetisch untersucht, aufgrund bestimmter Merkmale glaubt Kusimba aber, dass eines von ihnen einem nicht näher bestimmten Ausländer gehöre. „Ich weiß nicht, ob es bei der Präsentation des chinesischen Kollegen zu einem Übersetzungsfehler kam – jedenfalls behauptete er fälschlicherweise, bei der Entdeckung der Skelette dabei gewesen zu sein.“ Auch habe die „China Daily“ einfach geschrieben, dass es sich bei dem Skelett um einen Chinesen handele. Kusimba gewann im Lauf der gemeinsamen Arbeit den Eindruck, dass es dem chinesischen Team nicht so sehr um den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn ging. „Sie versuchen, ein bestimmtes Narrativ zu verbreiten: dass ihre Geschichte mit Afrika nie kolonialer Natur war.“

Weitere Monate vergehen, bis mich plötzlich Mwamaka Sharifu anruft. Ihre Stimme klingt warm. Sie erzählt, wie sie vor vielen Jahren in China ankam, und dass alles fremd und verstörend war. Sie taumelte von Fernsehshow zu Fernsehshow, von Bankett zu Bankett. Es war überwältigend und gleichzeitig eine große Chance. Wollte sie doch beweisen, dass es ein Mädchen aus Siyu schaffen könne. Sie kämpfte sich durch die fremde Sprache und ihr Studium, ganz auf sich gestellt. Den chinesischen Mann ihrer Träume habe sie nie gefunden. „Hier in China hast du es als Ausländer schwer. Ein Ausländer bleibt ein Ausländer, auch wenn er chinesisches Blut hat.“

Zuletzt treffe ich in Nairobi George Abungu, einen von Kenias bedeutendsten Archäologen. Mit den Chinesen, sagt er, habe er in vielerlei Weise zusammengearbeitet. „Sie wollen Programme entwickeln, die eine historische Verbindung von China nach Afrika belegen. Sie interessieren sich für Pate, ob sie jetzt wegen des Hafens oder des Öls kommen. Und ganz nebenbei wollen sie wahrscheinlich noch ein wenig soziale Verantwortung beweisen.“ Am Ende aber könnte die Ölförderung der Insel das Wasser abgraben, könnten Hafen, Kohlekraftwerk, Öl und Gas die archäologischen Stätten zerstören. „Die Chinesen kommen durch die Forschung“, sagt Abungu und lächelt leise. „Aber das ist nichts Neues für uns. Die Westler kamen durch die Missionare. Sie sagten: Schließt eure Augen. Und als wir sie aufmachten, war unser Land weg.“

Veröffentlicht in mare Februar/März 2019